Medical-PCs sollen die Arbeit erleichtern – auch im Bereich Hygiene

Aus dem klinischen Alltag sind IT-Systeme nicht mehr wegzudenken. Sie übernehmen zum Beispiel wichtige Funktionen bei der Befundung und im OP sowie bei der Überwachung von Vitaldaten und Führung digitaler Patientenakten. Doch an moderne Klinik-Hardware werden noch weitere Ansprüche gestellt – vor allem das Thema Hygiene gewinnt immer stärker an Relevanz. Wir sprachen mit Matthias Lubkowitz, Head of Healthcare Business Center bei ADLINK Technology GmbH im bayerischen Deggendorf, darüber wie Medical-PC Hersteller dieser Herausforderung begegnen.

Medical-PCs werden in Bereichen eingesetzt, in denen hohe Anforderungen an die Hygiene gestellt werden. Wie gut sind die Hersteller darauf eingerichtet?

Als die IT in den Klinikalltag einzog wurden zunächst noch ganz normale PCs mit Lüfter und klassische Tastaturen mit viel Totraum unter den Tasten eingesetzt. Aus Hygienegründen wurden die Monitore und Tastaturen in transparente Plastikhüllen eingepackt. Seitdem hat sich viel getan. Heute setzen sich grundsätzlich alle Hersteller von Medical PCs mit dem Thema Hygiene auseinander. Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede in den Angeboten, die aktuell auf dem Markt sind. Bei einigen Medical-PCs wird Hygiene kaum beachtet, bei anderen wird sie als Alleinstellungsmerkmal herausgearbeitet, was sie auch von Standards wie der Zertifizierung gemäß MDR Class 1 sowie EN60601-1 und EN60601-1-2 Konformität, die jeder Medical PC haben sollte, abhebt. Entsprechend umfassend unterstützen solche Medical-PCs dann auch den Bedarf nach Hygiene – von der normalen Station bis hin zu aseptischen Bereichen wie den OPs.

Die Oberflächen von PCs bieten aber auch heute noch Keimen und Bakterien eine große Angriffsfläche …

Richtig – und manche Keime können auf eigentlich unwirtlichen Oberflächen wie Plastik oder Metallen sogar monatelang überleben und bleiben infektiös. Das gilt vor allem auch für multiresistente Keime. Laut aktuellem Krankenhausreport der Barmer-Krankenkasse gibt es in deutschen Krankenhäusern bis zu 600.000 Fälle pro Jahr und bis zu 15.000 Patienten versterben jährlich. Das ist eine höhere Inzidenz in Bezug auf die Krankenhauspatienten als bei der aktuellen Pandemie in Bezug auf die Bevölkerung in Deutschland. Genau deshalb sind umfassende Hygieneeigenschaften bei Medical PCs so wichtig. Je intensiver Hersteller sich bei der Entwicklung ihrer Produkte auf die hygienischen Anforderungen in Praxen und Krankenhäusern einstellen, umso besser ist es für Patienten und das medizinische Personal. Dabei sollte der Einsatz in sensiblen Bereichen wie OPs oder Intensivstationen ein absolutes Muss sein. Denn hier sind die hygienischen Ansprüche besonders hoch – und das sollte auch für Medical PCs gelten! Es schadet aber auch nicht, auf Station die gleichen Qualitätsansprüche zu stellen, denn hygienische PCs sind nicht zwangsläufig teurer. Die Entwickler der Systeme haben nur ihre Hausaufgaben gründlicher gemacht.

Worauf sollten IT-Verantwortliche in Krankenhäusern Ihrer Meinung nach achten?

Auf Medical PCs, die nicht nur mit einem spezifischen Feature, sondern gleich auf mehreren Ebenen höchste Hygiene-Standards bieten. Ein wichtiger Aspekt sind zum Beispiel komplett lüfterlose PCs. Denn jeder, der einen PC zuhause stehen hat, kennt es: In den Lüftungsschlitzen setzen sich ganz schnell Schmutz, Staub und natürlich auch Keime ab. Und alles wird irgendwann auch wieder in den Raum abgegeben und damit erneut verteilt. Dadurch wird der PC-Lüfter im Prinzip zur Keimschleuder. Ein komplett geschlossenes, lüfterloses System ist daher schon mal eine wichtige Grundlage, um die Verbreitung von Keimen zu vermeiden.

Diese PCs werden passiv gekühlt. Geht das nicht zu Lasten der Leistung?

Nein, da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Die aktuellen Systeme integrieren eine leistungsstarke, zumeist prozessorintegrierte Grafik, die bereits hohe Auflösungen bis 4K und bald auch 8K unterstützen werden. Auch bei der Farbtiefe und der flüssigen 3D-Darstellung müssen Sie bei lüfterlosen Systemen keine Abstriche machen. Das heißt: Sie können 3D-Bilder und Videos sogar von hochauflösenden bildgebenden Verfahren darstellen und die Bilder ruckeln nicht. Wenn diese Leistung nicht ausreicht gibt es für den OP noch leistungsfähigere komplett geschlossene Systeme auch mit Grafikkarte. Die meisten Applikationen kommen heute aber schon mit Prozessorintegrierter Grafik aus.

Es gibt also keine Grenzen?

Zugegeben – es gibt tatsächlich eine Grenze. Bei der Systemkonfiguration mit neuster Technik hört es bei spätestens 100-Watt Leistungsaufnahme auf, dann ist das Limit der passiven Kühlung erreicht. Doch seien wir ehrlich: Genau hier liegt doch die besondere Leistung der Medical-PC-Entwickler. Sie bringen Innovationen auf den Markt, die höchste Performance innerhalb der noch mit geschlossenen Systemen kühlbaren Leistungsaufnahme bieten und damit die Leistungsanforderungen voll erfüllen.

Die Lüftung ist aber nicht das einzige Augenmerk. Was zeichnen hygienische Gehäuse außerdem aus?

Ich rate hier zu Produkten mit antibakterieller Beschichtung. Denn sie bieten durch ihre anorganischen antibakteriellen Silberwirkstoffe eine hohe Wirksamkeit gegen Pathogene. Und das nicht nur für einen kurzen Moment. Diese Wirkung soll bei qualitativ hochwertigen Beschichtungen mehr als 5 Jahre anhalten. Vor allem aber empfehle ich Produkte ohne sichtbare Gehäuseverschraubungen!

Das klingt nach einer optischen Idee, die das Gehäuse schöner macht. Was bringt ein schraubenloses Gehäuse in Sachen Hygiene?

Es mag im ersten Moment nebensächlich klingen, dahinter verbirgt sich aber ein nicht zu unterschätzendes Hygiene-Plus. Gucken Sie sich Ihren normalen PC an und versuchen Sie einmal die oft tieferliegenden Schraubenköpfe zu reinigen. Und jetzt stellen Sie sich vor: Diese Stellen müssen Sie nicht nur reinigen, sondern idealer Weise hundertprozentig desinfizieren. Das ist im Grunde unmöglich und wenn dann extrem aufwendig! Wenn man sich diesen Aufwand sparen will ist die Lösung also ein Gehäuse, das aufgrund innenliegender, magnetisch ansteuerbaren Sicherungen auf Schrauben zur Fixierung beispielsweise des Gehäusedeckels an den Gehäuseboden verzichtet. Dadurch wird die Reinigung und Desinfektion des Gehäuses wesentlich erleichtert. Um es mit einem bekannten Werbe-Slogan zu beschreiben: Mit einem Wisch ist alles weg…

Ist das Gehäuse ohne Schrauben wirklich sicher verschlossen?

Definitiv! Das Sicherungsmittel weist einen Riegel auf, der federbelastet ohne Einwirkung äußerer Kräfte in einer Sicherungsstellung positioniert ist. Der Riegel kann beispielsweise durch einen pin-artig ausgebildeten Bolzen gebildet sein, der verschiebbar oder in anderer Weise beweglich in einem Teil des Gehäuses, beispielsweise des Gehäusedeckels, der zur Aufnahme der berührungsempfindlichen Anzeigeeinheit ausgebildet ist, vorgesehen ist. Durch diesen Riegel und dessen federbedingte Vorspannung in die Sicherungsstellung wird erreicht, dass Gehäusedeckel und Boden gegen unerwünschtes Lösen der formschlüssigen Verbindung gesichert sind. Um die formschlüssige Verbindung lösen zu können, müssen die Sicherungsmittel aktiv deaktiviert werden – damit wird ein ungewolltes Öffnen sicher verhindert.

Ist diese Lösung bereits Standard?

Nein, diese Verschlussart ist patentiert und Adlink Technology ist bislang der einzige Anbieter auf dem Markt, der diese Verschlussart anbietet.

Neben dem Gehäuse stellen vor allem Touchdisplays eine große Keim-Gefahr da. Gibt es da auch Lösungen?

Hier sind Displays, bei denen das Glas die Systemfront vollständig abdeckt, ideal. Der Grund ist simpel: Werden Touchscreens einfach ins Gehäuse eingelassen, entstehen frontseitige Fugen. In ihnen können sich nicht nur Keime absetzen – sie sind auch sehr schwer zu reinigen bzw. zu desinfizieren. Deckt das Frontglas dagegen alles ab, entstehen keine Fugen und der Touchscreen kann schnell und vollständig desinfiziert werden.

Aber greifen aggressive Reinigungsmittel das Frontglas nicht auf Dauer an?

Das Problem haben die Entwickler der Medical PCs natürlich erkannt.Daher gibt es selbstverständlich robustes Frontglas, das Sie auch mit aggressivsten Mitteln reinigen können, ohne dass die Oberfläche verkratzt oder milchig wird. Das gilt übrigens auch für entspiegelte Fronten, die störende Reflexionen von zum Beispiel OP-Lampen oder Fenstern vermeiden. Aber Vorsicht: Klassischen Entspiegelungsbeschichtungen können leider schnell abgerieben werden. Ideal ist deshalb eine Entspiegelung mit Hilfe eines Ätzverfahrens – sie steht auch eine häufig durchgeführte Desinfektion durch. So hält ein Touchdisplay mit einer kratzfesten Entspiegelung in einer Härte von 7H im Alltag auf Intensivstationen jahrelang.

Übrigens: Ein weiterer wichtiger Aspekt für den aseptischen Bereich ist, dass sich nicht alle Touchscreens mit Schutzhandschuhen bedienen lassen. Deshalb sollte bei der Auswahl eines Medical-PCs darauf geachtet werden, dass der Touchscreen auch mit medizinischen Nitril- oder Latex-Handschuhen einwandfrei bedient werden kann.

Gibt es denn keine Lösung, die eine regelmäßige Desinfektion überflüssig machen würde?

Bislang nicht. Dabei werden auf der Suche nach der besten Lösung natürlich weltweit auch andere Ideen diskutiert. Interessant wäre beispielsweise die Desinfektion mittels UV-Licht. Dr. Anthony Griffiths, Associate Professor für Mikrobiologie an der Boston University School of Medicine, hatte nämlich nachgewiesen, dass Viren auch mit Hilfe von UV-C-Licht bekämpft werden können. Und das auch noch sehr schnell: Schon wenige Sekunden sollen bei einer Bestrahlungsdosis von 7,64 mJ/cm2 ausreichen, dass keine Viren mehr nachgewiesen werden können.

Auch die Umsetzung wurde von den Forschern angedacht: Werden Räume mit solchen Systemen als Upper-Air Lösungen an der Decke montiert, kann die Raumluft ohne Personalaufwand keimfrei gehalten werden. Das klang im ersten Moment sehr vielversprechend. Die Sache hat jedoch einen Haken: Die Emittenten der Viren werden damit nicht ausgeschaltet. Dafür müssten dann wieder Monitore etc. noch einmal direkt bestrahlt werden. Sie können sich vorstellen, was das im Alltag bedeuten würde, zum Beispiel auf einer Intensivstation oder in einem OP: Die gesamte IT-Ausrüstung müsste regelmäßig mit UV-C-Licht desinfiziert werden. Das wäre im Vergleich zur Wischdesinfektion ein riesiger Aufwand. Zudem würden die Geräte auch längerfristig nicht zur Verfügung stehen. Damit bleibt unter Strich der bisher beschrittene Weg als beste Lösung: Die Geräte selbst müssen immer hygienischer werden und regelmäßig gereinigt werden.

Für Medical PCs ist Hygiene aber nicht alles, oder? Was ist für Krankenhaus ITler und Medizintechniker sonst noch wichtig?

Grundsätzlich würde ich darauf achten, ob der Medical PC auch als Medizinprodukt Klasse 1 zertifiziert ist. Denn Krankenhäuser unterliegen zum Beispiel einer Vielzahl von Vorschriften und Regularien. Es ist daher in ihrem Interesse möglichst nur Produkte einzusetzen, die für sie als verantwortlichen Betreiber einen vergleichsweise einfachen Nachweis ermöglichen, die geltenden Regularien bzgl. Sicherheit eingesetzter Produkten – ganz besonders in den sensiblen Bereichen – erfüllt zu haben. Beim Einsatz eines PC in einem OP-Saal müsste der Betreiber selbst eine entsprechende Risikoabschätzung und -bewertung durchführen, ob er eingesetzt werden kann oder nicht. Ist der Medical Computer nachweislich ein Medizinprodukt, ist man damit der Betreiberpflicht bereits nachgekommen.

Gibt es weitere Aspekte, die den Einsatz im Alltag erleichtern?

Auf jeden Fall. Dazu gehört zum Beispiel ein Rechner, der rotiert werden kann – dadurch kann er im Landscape- und im Portrait-Modus genutzt werden. Auch die Möglichkeit den Medical PC auf die eigenen Bedürfnisse einstellen zu können, ist interessant. So können PCs durch individuell belegbare Funktionstasten beispielsweise von Station zu Station auf die speziellen Wünsche zugeschnitten werden. Rotieren diese Funktionstasten dann bei der Umstellung von Landscape auf Portrait mit und bleiben beispielsweise immer unten Rechts oder Links hat man eine herausragende Usability geschaffen. Auch die Helligkeit des Monitors sollte schnell geändert werden können – besonders wenn die Geräte auf einem Cart von Bett zu Bett gefahren werden und sich so die Lichtverhältnisse ständig ändern. Lange Batteriestandzeiten und ein zweiter Batterieschacht für den Dauerbetrieb auch beim Wechseln einer Batterie sind zudem wichtig für solche Systeme.

Wo liegen die Nachteile bei solchen Medical PCs?

Ich kenne lediglich das vergleichsweise hohe Gewicht. Aber dieses Bug ist auch ein Feature. Im OP und auf Notfallstation kann es auch schon mal ganz schön hektisch werden. In solchen Momenten kann niemand auf PCs Rücksicht nehmen. Deshalb ist dann eine gute Schlagfestigkeit der Systeme gefragt. Robuste Designs, die eine Kollision auch mal wegstecken, sollten 250 g, also das 250 fache der Erdbeschleunigung, aus einer Fallhöhe von 40 Zentimetern verkraften. Das entspricht einem Stoßfestigkeitsgrad von IK06. Um diese Funktionen sicherstellen zu können ist ein robustes Gehäuse ein Muss.

Bild 1: Neben hoher Leistung überzeugen Medical PCs von Adlink Technology vor allem durch ihr hygienisches Design
Bild 2: Medizinische Computer sollen den Arbeitsalltag in Krankenhäusern erleichtern und müssen ideale Voraussetzungen zur Nutzung in medizinischen Bereichen mitbringen. Ein Medical PC mit der Zertifizierung als Medizinprodukt Klasse 1 erfüllt alle Regularien zur Sicherheit
Bild 3: Vor allen in sensiblen Bereichen wie OPs und Intensivstationen sollten Medical PCs die höchsten Hygiene-Standards erfüllen und leicht desinfiziert werden können
Bild 4: Den Fortschritt der Systementwicklung kann man auch rückseitig erkennen: (1) VESA Halter. (2) Abdeckung der Schnittstellen (3) Button aus Kunststoff vs. Glas-Touch-Button
Bild 5: Bei aktiver Lüftung kann ein Medical-PC zur Keimschleuder werden.
Bild 6: Versenkte Verschraubungen sind besonders schwer zu reinigen.
Matthias Lubkowitz
Matthias Lubkowitz

 Head of Healthcare Business Center bei ADLINK Technology

Der Artikel wurde ursprünglich im KTM Magazin (Deutschland) in der Ausgabe 11/2021 veröffentlicht.

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